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Ostergeschichten
und -märchen
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Die Ostereier
( Christoph von Schmidt )
6. Ein Ei, das wirklich in Perlen gefasst wird
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Der Graf trat mit seiner Gemahlin und seinen Kindern heraus und
grüßte die Leute auf das liebreichste, und dankte ihnen für
alles Gute, das sie seiner Gemahlin und seinen Kindern erwiesen hatten. O,
nicht wir sind ihre Wohltäter, sagten die Leute mit Tränen in den
Augen, sie ist unsere größte Wohltäterin! - Indes hatte das
Gefolge des Grafen, mit Hilfe einiger Kohlenbrenner einen Weg in das Tal
gefunden. Unter dem Klange der Trompeten kamen mehrere Ritter, und eine Menge
Knappen zu Pferd und zu Fuß zwischen zwei waldigen Bergen hervor, zogen
in das Tal hinein und ihre Helme und Spieße leuchteten im Glanz der Sonne
wie Blitze. Graf Arno blieb noch ein paar Tage hier; am Abend, bevor er mit
seiner Gemahlin und seinen Kindern, mit Kuno und dem übrigen Gefolge
abreiste, gab er noch allen Bewohnern des Tales eine große Mahlzeit. Der
Müller und die Köhler saßen zwischen Rittern und Knappen, und
die Tafel sah sehr bunt aus. Am Ende der Mahlzeit beschenkte der Graf seine
ländlichen Gäste, vorzüglich den Müller noch sehr
reichlich. Martha blieb in den diensten der Gräfin. Zu den Kinder der
Köhler aber sagte er: Für euch, ihr lieben Kleinen, will ich zum
Andenken an den Aufenthalt meiner Gemahlin unter so guten Leuten eine kleine
Stiftung machen. Jedes Jahr sollen auf Ostern allen Kinder Eier von allen
Farben ausgeteilt werden. Und ich, sprach die gute Gräfin, will diesen
Gebrauch in unserer ganzen Grafschaft einführen, und auch dort zum
Andenken meiner Befreiung alle Jahre auf Ostern gefärbte Eier unter die
Kinder austeilen lassen. Dies geschah auch. Die Eier nannte man Ostereier, und
die schöne Sitte verbreitete sich nach und nach durch das ganze Land.
Die Leute an andern Orten, die den Gebrauch nachmachten, sagten: Die
Erlösung der guten Gräfin aus ihrem Felsentale und des Edelknechts
aus jenem Abgrunde und vom nahen Tode geht uns zwar nicht so nahe an, ihr
Andenken jährlich zu feiern. Die bunten Eier sollen daher unsere Kinder an
eine größere Erlösung erinnern, die uns sehr nahe angeht - an
unsere Erlösung von Sünde, Elend und Tod, durch denjenigen, der vom
Tod auferstand. Das Osterfest ist das rechte Erlösungsfest - und die
Freude, die wir da den Kindern machen, ist ganz dem Sinne des Erlösers
gemäß. Die Liebe, die gern groß und klein erfreut, ist ja die
Summe seiner heiligen Religion, und das schönste Kennzeichen seiner wahren
Verehrer. Ja, die Sitte, den Kindern Eier zu schenken, kann auch den Eltern und
allen Menschen eine schöne Erinnerung an die Vaterliebe Gottes gegen uns
Menschen, ja gleichsam ein Pfand der wohlwollenden Gesinnungen seines treuen
Vaterherzens sein. Denn der Mund der Wahrheit hat es ja selbst gesagt: Wo ist
unter euch ein Vater, der seinem Sohne, der ihn um ein Ei bittet, einen
Skorpion geben könnte? Wenn nun ihr euren Kindern gute Gaben zu geben
wisst, wie viel mehr wird euer Vater im Himmel denen, die ihn darum bitten, die
beste aller Gaben, den guten Geist, geben?
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