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Ostergeschichten
und -märchen
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Die Ostereier
( Christoph von Schmidt )
8. Die Krebse
- Seite 1 ( von 4 ) -
Katharina war ein sehr fleißiges und geschicktes, ein sehr freundliches
und sittsames Mädchen. Nur einen großen Fehler hatte sie - sie war
sehr naschhaft. Ihre Eltern besaßen den ersten Kaufladen in einem
wohlhabenden Landesstädtchen. Schon als Kind konnte oder wollte
Katharinchen der Versuchung nicht widerstehen, hie und da die Schubladen mit
den Weinbeeren, Zibeben und überzuckerten Mandeln heimzusuchen. Als sie
größer wurde, hatte sie keine Bedenken, manchmal ein Restchen Taffet
oder Kattun, eine Elle Band oder Spitze heimlich zu verkaufen, um diese oder
jene Essware, die ihr ein besonders guter Bissen schien dafür einzukaufen.
Ein besonderes Fest war es ihr immer, wenn es sich traf, dass ihre Eltern einen
Nachmittag nicht zu Hause waren und sie allein wirtschaften konnte. Da wurde
dann immer gekocht, bald Kaffee oder Schokolade gemacht, bald ein
Hühnchen, bald ein Täubchen gebraten.
Eines Tages war der Vater in Geschäften verreist und die Mutter zu einem
Hochzeitsmahle eingeladen. Katharina wollte sich diesen Tag recht zu Nutzen
machen. Sie bat drei ihr guten Freundinnen, sie nach Tische zu besuchen. Sie
bewirtete sie mit Kaffee und Kuchen, mit Trauben Äpfel und Birnen, einer
großen Torte, allerlei Zuckerwerk und einer Flasche süßen
roten Weines. Der Tisch war so reichlich besetzt, dass kein leeres
Plätzchen mehr übrig war, auf das man noch ein Fruchtkörbchen
oder einen Teller mit Konfekt hätte stellen können. Alle vier
Mädchen ließen es sich sehr wohl schmecken; sie plauderten,
scherzten und lachten. Allein da sie gerade im größten
Vergnügen waren, ging plötzlich die Türe auf und die Mutter trat
mit einer fremden Frau in die Stube. Die Mädchen fuhren erschrocken von
ihren Sitzen auf, Katharina aber hätte vor Schrecken und Scham in die Erde
sinken mögen.
Die Mutter sagte für jetzt nichts, sie führte die fremde Frau in den
Laden. Die Frau war vom Lande, sie war zum hochzeitsfeste gekommen und hatte
während der Mahlzeit den Wunsch geäußert, einige hübsche,
dauerhafte gefärbte Zeuge zu Kleidern für ihre Kinder einzukaufen.
Katharinas Mutter hatte sie sogleich höflich gebeten, sich nach der
Mahlzeit mit ihr in ihren Laden zu bemühen, wo sie dann unter den
schönsten und besten Waren der Art zu den billigsten Preisen die Wahl
haben werde. Die fremde Frau kaufte mehreres, war mit Kaufe überaus wohl
zufrieden und Katharinas Mutter begleitete sie zurück in den Gasthof.
Katharine aber, deren gute Freundinnen sich sogleich empfohlen hatten, mussten
den zwei Frauen den Pack nachtragen.
Auf den Abend kam die Mutter wieder nach Hause; Bald darauf kam auch der Vater
von der Reise zurück. Die Mutter wollte ihm nicht sogleich bei seinem
Eintritt in das Haus Verdruss machen; erst am andern Morgen erzählte sie
ihm, wie übel sich Katharina aufgeführt habe. Der Vater war sehr
bestürzt, die Mutter aber befahl Katharina, mit ihr zu dem Vater in die
Schreibstube zu kommen. Katharina die in der verflossenen Nacht wenig
geschlafen hatte, folgte der Mutter mit zitterndem Herzen.
Der Vater machte ihr sehr ernstliche Vorstellungen. Liebe Katharina, sagte er,
deine Naschhaftigkeit macht mir viel Kummer. Du siehst sie nur für einen
kleinen Fehler an, er ist aber sehr groß und von schweren Folgen. Wer
seine Esslust nicht bezwingen kann, wird nie ein edler Mensch. Er kann sich in
andern Dingen noch weniger Gewalt antun und wird ein Opfer der Sinnlichkeit.
Wer nicht von einer Mahlzeit zur anderen, ohne an Speise und Trank zu denken,
sich mit seiner Arbeit beschäftigen kann und nicht Essen und Trinken
darüber vergisst, bringt es nie weit. Und dann verleitet die Esslust zu
Unredlichkeit. Du hättest den gestrigen Aufwand nicht bestreiten
können, wenn du nicht manches aus dem Laden verkauft und das Geld für
dich behalten hättest. Was du aber deinen Eltern veruntreust, ist auch
gestohlen.
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