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Osterpredigten
von Martin Luther
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Predigt am Palmsonntag
( Martin Luther )
- Seite 5 ( von 8 ) -
Zum sechsten, nun siehe, wo Christum ein Dorn sticht, da sollten dich billig
mehr denn hunderttausend Dörner stechen, ja ewiglich sollten sie dich also
und viel ärger stechen. Wo Christo ein Nagel seine Hände und
Füße durchmartert, solltest du ewig solche und noch ärgere
Nägel erleiden; wie denn auch geschehen wird denen, die Christi Leiden an
ihnen lassen verloren werden. Denn dieser ernste Spiegel, Christus, wird nicht
lügen noch täuschen, was er anzeigt, muss also sein
überschwänglich.
Zum siebenten, ein solch Erschrecken nahm St. Bernhardus daraus, dass er
sprach: Ich meinte, ich wäre sicher, wusste nichts von dem ewigen Urteil,
das im Himmel über mich ergangen war, bis dass ich sah, dass der einige
Gottes Sohn sich mein erbarmt, hervortritt und in dasselbige Urteil sich
für mich ergibt. O weh, es ist mir nicht mehr zu spielen und sicher zu
sein, wenn ein solcher Ernst dahinter ist!
Also gebot Christus den Weibern (Luc. 23, 28): Weinet nicht über mich,
sondern über euch selbst und über eure Kinder; und sagt die Ursache:
Denn tut man also dem grünen Holz, was will's am dürren werden? Als
wollt er sagen: Aus meiner Marter lernet, was ihr verdient und wie es euch
gehen sollte. Denn hier ist es wahr, dass ein kleines Hündlein geschlagen
wird, den großen Hund zu schrecken. Also hat der Prophet auch gesagt: Es
sollen sich selbst über ihn klagen alle Geschlechter auf Erden; spricht
nicht, sie sollen ihn klagen, sondern sich selbst über ihn klagen. Also
erschraken auch die, Apstgesch. 2, 37, wie oben gesagt, dass sie zu den
Aposteln sagten: Liebe Brüder, was sollen wir tun? Item also singt die
Kirche: Ich will fleißig daran denken, so wird in mir erschrecken meine
Seele.
Zum achten, in diesem Punkt muss man sich gar wohl üben, denn fast der
ganze Nutzen des Leidens Christi ist daran gelegen, dass der Mensch zu seiner
selbst Erkenntnis komme, und vor ihm selbst erschrecke und erschlagen werde.
Und wo der Mensch nicht dahin kommt, ist ihm das Leiden Christi noch nicht
recht nütze geworden. Denn das eigene natürliche Werk des Leidens
Christi ist, dass es ihm den Menschen gleichförmig mache, dass, wie
Christus an Leib und Seele jämmerlich in unsern Sünden gemartert
wird, wir auch ihm nach also müssen gemartert werden im Gewissen von
unsern Sünden. Es geht auch hier nicht zu mit vielen Worten, sondern mit
tiefen Gedanken und Großachtung der Sünden.
Nimm ein Gleichnis: Wenn ein Übeltäter gerichtet würde, darum,
dass er eines Fürsten oder Königs Kind erwürgt hätte, und
du sicher wärst, und sängest und spieltest, als wärst du ganz
unschuldig, bis dass man dich schrecklich angriffe und dich
überführte, du hättest den Übeltäter dazu vermocht:
sieh, hier würde dir die ganze Welt zu enge werden, sonderlich wenn du
Christi Leiden bedenkst. Denn die Übeltäter, die Juden, wiewohl sie
nun Gott gerichtet und vertrieben hat, sind sie doch deiner Sünde Diener
gewesen, und du bist es wahrhaftig, der durch seine Sünde Gott seinen Sohn
erwürgt und gekreuzigt hat; wie gesagt ist. Zum neunten, wer sich so hart
und dürre fühlt, dass ihn Christi Leiden nicht also erschreckt und
ins Bekenntnis seiner Sünde führt, der soll sich fürchten. Denn
da wird nicht anders aus: dem Bilde und Leiden Christi musst du
gleichförmig werden, es geschehe in dem Leben oder in der Hölle; zum
wenigsten musst du im Sterben in das Erschrecken fallen, und zittern, beben,
und alles fühlen, was Christus am Kreuz leidet. Nun ist es grausam, auf
dem Totenbett deß zu warten; darum sollst du Gott bitten, dass er dein
Herz erweiche, und lasse dich furchtbarlich Christi Leiden bedenken. Denn es
ist auch nicht möglich, dass Christi Leiden von uns möge
gründlich bedacht werden, Gott senke es dann in unser Herz.
Auch weder diese Betrachtung, noch irgend eine andere Lehre wird dir darum
gegeben, dass du solltest frisch von dir selbst darauf fallen, dasselbige zu
vollbringen, sondern zuvor Gottes Gnade suchen und begehren, dass du es durch
seine Gnade, und nicht durch dich selbst vollbringst.
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